Die Legende von Paul und Paula


Ich bin genauso alt wie dieser Film und trotzdem hatte ich ihn noch nie gesehen. Gestern dann gab es die Möglichkeit dazu, ohne Werbeunterbrechung und auf einem Sender, den wir hier auch empfangen.

Ich wusste, dass dieser Film in der ehemaligen DDR und vermutlich immer noch in Ostdeutschland Kultstatus hatte bzw. hat, umso höher lag also meine Messlatte. Ich bin sehr, sehr anspruchsvoll bei Filmen, was aber nicht bedeutet, dass ich mir kein Mittelmaß, keinen Schund oder Trash ansehen kann. Kann ich. Sogar mit Genuss. Und manchmal möchte man auch einfach nur unterhalten werden.

Bei Die Legende von Paul und Paula fiel mir positiv auf:

  • Normale Dialoge. Bzw. mittlerweile filmisch sehr ungewöhnliche Dialoge. Ich merkte wieder einmal, wie sehr man auf dieses blödsinnige Standardgequatsche eingefahren ist.
  • Keine wehenden Flaggen. Dabei war die DDR in Sachen Zensur und Filmpatriotismus den USA durchaus ebenbürtig. Aber die Filmemacher schienen mutiger zu sein und die Filmkunst war nicht auf Kommerz ausgelegt. Trotzdem war „Die Legende von Paul und Paula“ ein Kassenerfolg.
  • Die Musik. Großartig.
  • Die gut verpackte Kritik und der Mut, sie zu zeigen. Bsp.: In einer surrealen Sequenz „heiraten“ Paul und Paula. Paula ist dabei nur von einem Schleier bedeckt. Am Rande der Szene stehen zwei Personen, die das Geschehen beobachten. Der eine sagt empört: „Das ist doch Porno!“ Der andere sagt darauf: „Dann gucken Sie halt weg!“ Das tut der erste, um dann aber doch wieder einen verstohlenen Blick über die Schulter zu werfen.
  • Kein moralischer Zeigefinger. Es gibt keine Bewertung der unehelichen Mutter Paula oder des ehebrechenden Pauls.
  • Das Spiel mit Klischeevorstellung und Gegensätzen: Paula, die aufgeschlossene, individualistische Ausbrecherin wohnt in einem alten, traditionellen Haus mit alten, traditionellen Möbeln. Paul, der konservative Spießer lebt direkt gegenüber in einer modernen Plattenbauwohnung mit modernen Möbeln.
  • Die Langsamkeit!!! Sich Zeit lassen mit einer Szene, wer kann sich das heute noch erlauben. Wenn nicht alle 20 Sekunden irgendetwas passiert, ist es doch vorbei mit der Aufmerksamkeit des clipgeschädigten Publikums.
  • Die Darsteller: Sie sehen alle normal aus und haben keine schönheitsoperierten Körper.
  • Das Ende: Unhappy!

Fazit: Kein Schund, kein Trash. Wirklich sehenswert.

Piraten sollten Danke sagen!


Ich finde, die Piratenpartei sollte sich bei ihren zahlreichen Wahlhelfern bedanken, die den Siegeszug der Partei in den letzten Monaten erst ermöglicht haben. Denn, sind wir doch mal ehrlich. Noch im letzten Jahr hat keine Sau ein Wort über die Piraten verloren. Erst durch die ehrenamtlichen, unermüdlichen Einsatzkräfte, die mit Herzblut und höchster Anstrengung diese junge Partei in das Bewußtsein der Öffentlichkeit getragen haben, gewann die Piratenpartei zunehmend Sympathie, Anhänger und – wichtig (!) Mitglieder.

An vorderster Front sei genannt der an Leidenschaft und Engagement kaum zu übertreffende Wolfgang Schäuble. Unermüdliche hat sich der rollende Blitz für den Mitgliederzuwachs der Piratenpartei eingesetzt. Als Beispiel seien hier der Arbeitskreis Stasi 2.0 genannt, der zusätzlich zahlreiche Merchandisingartikel vertreibt sowie satirische Aktionen und Gesetzesentwürfe und -realisierungen, die das Volk an die Bedeutung ihrer Freiheitsrechte und die demokratische Grundordnung gemahnen sollen: Bundeswehreinsatz im Inneren, Vorratsdatenspeicherung, Internierungslager für Gefährder, um nur einige zu nennen. Uns Wolle, der subtile Störer, der faustische Pudelskern, der Wolfgang im Schäublepelz, ist einer der Grundpfeiler der Piratenpartei und eifrigster Aktivist in Sachen Politikunverdrossenheit.

Danke, Wolfgang Schäuble.

Nicht minder respektabel ist das Engagement der tapferen Mutter der Nation, unserer verehrten Familienministerin Ursula von der Leyen. Mit kühler Überlegenheit und vorausschauender Berechnung hat sie die Frauen dieser Republik aufgerüttelt, besonders die wertvollen und sonst schwer erreichbaren Akademikerinnen (nicht das Jacqueline-gebärende-Kroppzeug). Gehet hinaus und vermehret euch, hat sie sich auf die Fahnen geschrieben. Doch mit wem vermehrt sich die Akademikerin von heute? Genau! Mit Akademikern und viele von diesen sind Nerds, besonders die angehenden und vorallem die, die sich mit diesem frauenfremden Technikkram auseinandersetzen. In vollem Bewußtsein trieb unsere Ulla die weibliche Bevölkerung in die Arme solcher Männer, wohlwissend, dass Nerds selten kopulieren, da sie ja meistens im Netz rumhängen und somit weniger ihr Genmaterial, dafür aber ihr perfides Gedankengut in die Akademikerinnen von heute pflanzen. Besonderer Dank geht an dieser Stelle aber an ihren gnadenlos genialen Gesetzesentwurf zur Verschleierung von Straftaten. In mühsamer Kleinarbeit und zahlreichen Überstunden wurde ein Plan ausgearbeitet, der – wenn auch durchschaubar – so doch mit der klaren Intention geschaffen wurde, die  Netzaktivisten auf die Verletzlichkeit des freien Internets aufmerksam zu machen.

Frau von der Leyen, ohne Ihre Mithilfe gäbe es sicher tausende Sympathisanten der Piratenpartei weniger! Vielen Dank dafür!

Auch viele Mitarbeiter der herkömmlichen Medien sind an dieser Stelle zu nennen. Redakteure etwa, die durch absichtlich provokanten Dilettantismus die burgerverzehrenden Blogger, die iPhone-abhängigen Twitterer, die pizzaverschlingenden WoW-Spieler, mithin also die geschlechtsdebilen Internetaktivisten zu  hitzigen Diskussionen angeregt haben, Fernsehmoderatoren, die im gespielten Witz mit wunderbar satirischer Geistesgegenwart die unbekannten Phänomene der Neuzeit einem Publikum nahebringen wollte, das sich sonst nur für Kompressionsstrümpfe und Treppenlifte interessiert,  Journalisten, die Blitzaktionen mit ironischer Weisheit kommentierten, um sie fest im Bewußtsein der Bevölkerung zu verankern. Ihre subtile Mitarbeit bestärkte die Zielgruppe der Piratenpartei im politischen Engagement.

All diesen unermüdlichen Wahlhelfern ist bewußt, das noch ein langer Weg vor ihnen liegt. Aber im Laientum vereint, von der wilden Zerstörungswut der Grundfesten der Republik vorangetrieben, mit eitlem Spöttertum und radikaler Angst ausgestattet, werden sie auch in den nächsten vier Jahren alles daran setzen, die junge Piratenpartei in ihrem Aufstieg zu unterstützen.

Also, liebe Piraten, sagt mal schön Danke! Gehört sich so!

Blick in den Spiegel


Ich habe es nach Jahren wieder über mich gebracht, mir den aktuellen Spiegel zuzulegen. Selbstverständlich angelockt durch das Titelthema „Netz ohne Gesetz“ und die vorangehende Berichterstattung und Diskussion auf Spiegel online und anderswo.

3,70 Euro musste ich berappen. Und das war nicht das einzige, was sich geändert hat. Im Kiosk sah ich den Spiegel nicht sofort, in der Schauauslage auf dem Tresen lagen Bild, Mopo und irgendwelche Frauenzeitschriften. Ich musste die freundliche Dame fragen, wo ich denn die aktuelle Ausgabe finden könne. „Den Spiegel…,“ wiederholte sie langsam und grüblerisch, als würden die Worte eine längst vergangene Erinnerung in ihr Gedächtnis rufen, „ich glaub, der liegt da hinten. Warten Sie mal.“ Und dann erschrak ich ein wenig, als sie mir die Zeitschrift in die Hand drückte.

Früher konnte man mit einem zusammengerollten Spiegel kleine Hunde erschlagen, heute reicht es wohl nur noch für Fruchtfliegen und Bettmilben. Und das in Zeiten des Wahlkampfes.

Natürlich las ich zuerst die Titelstory. Erster Eindruck: Es gibt einen deutlich bemerkbaren Unterschied zwischen Artikeln in der Printausgabe und den „wir-lassen-mal-nen-Volontär-ran“-Versionen auf Spiegel online. Ein bißchen dramatisierend fällt der Artikel zwar aus, aber immerhin wurde recherchiert. Der Eindruck bleibt natürlich, dass der Aufenthalt im Netz so sicher ist wie eine Rundreise durch Afghanistan. Man fragt sich schon, wie man es all die Jahre unbeschadet geschafft hat, ohne zum Opfer zu werden.

Bei der Diskussion wird meiner Meinung nach immer vergessen, dass sich der überwiegende Teil der Netzgesellschaft absolut zivilisiert benimmt. Trolle gibt es natürlich. Aber denen begegne ich auch manchmal in der S-Bahn. Und was die Lieblingsthemen Mobbing und Kinderpornographie betrifft, da bietet sich das Internet als neuer Vertriebskanal eben an. Gäbe es das Internet nicht, würden Denunzierungen auf dem Schulhof oder am Arbeitsplatz genauso stattfinden und Kinderpornographie gäbe es anderweitig zu erwerben.

Denn Mobbing ist ein gesellschaftliches Problem. Ein Resultat aus Werteverlust, mangelndem Rechtsbewußtsein und Minderwertigkeitskomplexen. Die Frage nach dem warum, der Verantwortlichkeit, wird ungern gestellt. Dagegen wird im übereilten und vorallem wählerwirksamen Aktionismus das Netz als Quelle des Bösen angeprangert. Hauptsache, man hat irgendetwas, was man verantwortlich machen kann. Keine neue Art, mit Missetaten und Übeltätern umzugehen. Schon im Mittelalter hat man Tiere ersatzweise hingerichtet oder getötet, wenn sie bei einem Verbrechen anwesend waren.

Bei der Diskussion um Killerspiele lief und läuft es bis jetzt nicht anders ab.  Dabei wurde der Großteil der Spieler in Sippenhaft genommen, kriminalisert, diffamiert und als potentielle Amokläufer verleumdet.

So fühle ich mich schließlich auch beim Lesen des Spiegel-Artikels und diversen Abwandlungen im Netz. Ein bißchen schuldbewußt, denn irgendwie bin ich doch ein Teil des Bösen. Ein bisschen ängstlich, denn wer weiß, wie lange ich noch in der gesetzlosen Netzgesellschaft überleben kann.

Vorallem fühle ich mich aber verärgert.

Achtung: Sie befinden sich im rechtsfreien Raum!


Und wieder einer, der einen Beitrag zu etwas leisten muss, von dem er vermutlich nichts versteht. Thomas de Maizier möchte, das erzählte er jedenfalls der Rheinischen Post, nun auch Verkehrsregeln für das Internet, sonst drohen der menschlichen Zivilisation gar grausliche Greulichkeiten!

„Verkehrsregeln“ ist dabei eine euphemistische Umschreibung für Regulierung. Das verstehe ich jedenfalls so, denn De Maizier bemüht einen Vergleich mit den Finanzmärkten. Dürfen wir also bald mehr Verkehrszeichen im Netz erwarten als das geplante Stoppschild vor kinderpornographischen Inhalten? Braucht es nicht auch Stoppschilder vor Communities wie StudiVZ, vor Foren und Blogs, also vor den Heimstätten der Beleidigung und Verleumdung?

Und gibt es im Gegenzug bald in Banken ein aufploppendes Stoppschild, wenn einem der Finanzberater das Blaue vom Himmel runterlügt?

Das schreckliche Internet, die unwägbare Gefahr, der rechtsfreie Raum. Zu unserem ureigensten Schutz müssen laut De Maizier endlich Kontrollmechanismen greifen, damit wir nicht „Scheußlichkeiten erleben, die jede Vorstellungskraft sprengen“.

Jeder intensive Netzbenutzer weiß natürlich, wie herrlich es sich in der Welt ohne Recht und Gesetz leben lässt. Nach Herzenslust kann man einkaufen ohne zu bezahlen. Einen Vertrag, den man im Netz abschließt, muss man natürlich niemals einhalten. Beleidigen darf man jeden und alles, Bilder kann man sich von überall her klauen, selbst ganze Texte kann man übernehmen und als seine eigenen ausgeben. Selbstverständlich ungestraft!

Jedenfalls scheinen das manche Menschen zu glauben.

Woher kommt der Mythos vom rechtsfreien Raum?

Ich weiß es nicht, aber ich vermute, er liegt begründet in der Angst vor einer unbekannten, schnell wachsenden Macht. Auch dem Buchdruck stand nicht jeder aufgeschlossen gegenüber, jedenfalls die nicht, die dadurch Aufklärung zu befürchten hatten und eigene Machtpfründe gefährdet sahen. Die Stoppschilder der Vergangenheit waren brennende Bücherhaufen und Indizes.

Gestärkt wird der Mythos zusätzlich durch zwei hochgepushte Themenkreise: Mobbing in sozialen Netzwerken und Kinderpornographie. Beides gibt es, ohne Frage. Beides gibt es auch in der realen Welt. Und Straftaten wie z.B. Beleidigung oder Bedrohung sind in beiden Welten auch jetzt schon strafbar.

Das Schlimme ist aber, dass die Geschichte vom gesetzlosen Internet geglaubt wird. Erscheckend ist daher weniger das Gerede eines sich profilierenden Politikers, sondern die Meinung mancher Bundesbürger dazu, die unreflektiert das Mantra des rechtsfreien Raumes verinnerlicht haben und runterbeten.

Internet-Geeks, Freaks, Nerds? Ja, aber…


…momentan vorallem PR-Noobs. Die Rede ist von den Mitgliedern der Piratenpartei. Ich weiß nicht, ob die sowas wie einen PR-Berater haben. Eine(r), der/die sich um die Öffentlichkeitsarbeit kümmert. Gerade jetzt, wo diese relativ neue Partei von allen Seiten beschossen wird (was nur als Kompliment anzusehen ist und größtenteils auf der Angst der Mitparteien beruht), ist das enorm wichtig.

Meine Empfehlung wäre, eine riesige Kampagne zu starten, die da heißt: Löschen statt sperren! Die gibt es schon, bzw. der Ansatz ist schon da. Man findet dazu eine Internetseite und Demos wurden auch veranstaltet (siehe hier).

Aber das reicht nicht! Man muss in diesem Land brüllen, um gehört zu werden! Wie bei der Erziehung kleiner Kinder muss man wichtige Dinge einfach zig-mal wiederholen!

Dazu holt man sich noch diverse Schutzbunde ins Boot und überhäuft die Medien penetrant mit der Aussage, dass man sich für die Löschung von kinderpornographischen Inhalten einsetzt und die beschlossene Sperrung als ineffizient ansieht, weil sie leicht umgangen werden kann und der Zensur Tür und Tor öffnet, da sie kaum einer nennenswerten Kontrolle unterliegt. (Fettgedrucktes laut und vehement ins Mikrophon zornen).

Die Sache mit der Zensur ist, das muss einem bewußt sein, für die allermeisten potentiellen Wähler, ganz sicher aber für die Medien (obwohl es die am dringendsten etwas angeht) viel zu hoch. Letztere hören „Sex“ und das überblendet alles. Besser als „Pandemie“ und fast so schön wie „Terrorismus“.

Da sich daran nichts ändern wird und um Schaden zu begrenzen, sollte die Piratenpartei den Fokus nun auf die Kipo-Angelegenheit richten. Das heißt nichts anderes, als den Spieß umdrehen. Damit solche Passagen mit Gschmäckle verschwinden:

„Tauss legte nach Bekanntwerden der Vorwürfe seine Parteiämter nieder und wechselte später von der SPD zur Piratenpartei, die sich gegen das Sperren von Internet-Seiten zum Beispiel mit kinderpornografischen Inhalten einsetzt.“
(Quelle: FAZ)

Und gegen solche ersetzt werden:

„Tauss legte nach Bekanntwerden der Vorwürfe seine Parteiämter nieder und wechselte später von der SPD zur Piratenpartei, die sich für das Löschen von Internet-Seiten mit kinderpornografischen Inhalten einsetzt.“

Hört sich schon ganz anders an, nicht? Und vielleicht käme dann auch mal irgendein Journalist mit einem IQ von über 100 (sind ja selten geworden) auf die Idee, zu hinterfragen, warum ein angeblich Pädophiler einer Partei beitritt, die sich für die Löschung von kinderpornographischen Seiten einsetzt. Denn die Sperre kann ein internetaffiner Mensch wie Tauss locker umgehen. Stimmten die Vorwürfe, wäre es strategisch sinnvoller gewesen, der Leyerschen Sperre zuzustimmen, statt als Einzelkämpfer mit hartem Vorwurf im Rücken dagegen zu plärren. Hätte jedenfalls besser ausgesehen. Und Zugriff auf entsprechende Webseiten hat man schließlich trotz Stoppschild.

Aber so weit reicht der Horizont der modernen Journalisten nicht. Genauso wenig wie der mancher Mitbürger, die von der Unschuldsvermutung noch nie etwas gehört zu haben scheinen. Komischerweise höre ich Vorverurteilungen überwiegend von Männern, also von der Personengruppe, die doch eigentlich wissen oder zumindest eine Vorstellung davon haben müsste, wie sehr der Ruf beschädigt und das Leben zum Alptraum wird, wenn sie der unbewiesene Vorwurf sexueller Gewalt oder sexuellen Missbrauchs trifft.