Man begegnet im Leben einigen Menschen, die man mag, vielen, die man nicht mag und ganz, ganz vielen, die einem ziemlich gleichgültig sind.
Mein Leben verlief bisher sehr ruhig und unspektakulär. Und so ist es nicht verwunderlich, dass ich auch eher ruhige und unspektakuläre Kontakte pflege. Der Männer- und Frauenanteil dürfte sich in meinem Freundes-, Feindes-, Kollegen- und Bekanntenkreis in seiner Gesamtheit etwa die Waage halten, der Ausländeranteil beträgt um die 25%.
Von diesen 25% sind bestenfalls 5% Moslems.
Von diesen 5% hat mich einer wirklich schäbig behandelt. Er war mein Chef und es wäre absurd zu behaupten, sein Arschlochtum hätte mit seiner Religion zu tun.
Eine muslimische Freundin ging mit mir zur Schule und gehörte zur Elite (und das auf einem Elitegymnasium, quasi Elite der Elite!). Meine muslimischen Nachbarn brachten uns zu Ramadan und zu persönlichen Festtagen Süßigkeiten oder einen Teller voll Fingerfood. Ein türkischer Freund reparierte mein Auto und verlangte kaum was dafür.
Frozan, eine iranische Kommilitonin hatte wunderschöne Haare, die sie stolz in atemberaubenden Flechtfrisuren präsentierte. Serol war mein liebster Angestellter, mit dem wir gerne einen Cocktail tranken und Selim hörte in der WG zwar manchmal zu laut Musik, war ansonsten aber ein witziger und hilfbereiter Mensch mit häufigem Liebeskummer.
Ich wohnte zu Beginn meines Studiums in einem Ghetto, das als sozialer Brennpunkt mit hohem Ausländeranteil gebrandmarkt war. Nie wurde ich behelligt. Meine Schwester bezog nach der Geburt des ersten Kindes eine Wohnung im angeblich schlimmsten mordorianischen Viertel mit hohem Ausländeranteil. Sie wurde nie behelligt.
In Mannheim (auch Mordor) gibt es zahlreiche Plätze, da dürfte der Anteil der Nichtimmigranten bei 10% liegen. Man kann dort leckeres türkisches Gebäck kaufen oder einen Moscheewecker erstehen. Komisch? Warum?
Hätte ich also niemals Zeitung gelesen, niemals Fernsehen geguckt oder Radio gehört, hätte ich niemals den angstbeladenen Konservativen zugehört, ich würde gar nicht verstehen, wovon Herr Sarrazin in seinem Interview gesprochen hat und weshalb ihm so viele offen und insgeheim zujubeln. Ich würde ratlos die Augenbraue zusammenziehen und gründlich überlegen…
Ich habe aber Zeitung gelesen, Fernseh geguckt, Radio gehört und – weiß Gott – ich habe mit angstbeladenen Konservativen gesprochen. Und so bemerke ich einen ganz unschönen Zug an mir: Wenn ich eine schwangere Türkin mit Kopftuch sehe, denke ich: „So klar. Die vermehren sich echt wie die Hasen.“ Lese ich von einem Überfall, denke ich sofort: „War bestimmt wieder einer von denen mit Migrationshintergrund.“ Sehe ich in der S-Bahn ausgelassene türkische Jugendliche, denke ich: „Bestimmt arbeitslose Krawallmacher.“ Und wenn sich zwei Jungs in gebrochenem Deutsch unterhalten, brauche ich sie gar nicht zu sehen, um zu denken: „Typisch. Sind hier aufgewachsen und können nicht mal richtig Deutsch.“
Ich denke das, obwohl ich NIE schlechte Erfahrungen in diese Richtung gemacht habe oder auch nur eines der Vorurteile bestätigen könnte.
Ja, es gibt sicherlich kriminelle Ausländer, radikale Moslems, arbeitslose Türken, fiese Araber. Es gibt schlimmste Brennpunkte und Immigranten, die man als „integrationsunwillig“ bezeichnen kann. Es gibt auch betrügerische deutsche Banker, verlogene deutsche Politiker, aggressive deutsche Jugendliche, verwahlloste deutsche Kinder und verantwortungslose deutsche Erwachsene.
Das alles gibt es. Man kann auf diese Menschen schimpfen und ihnen die Schuld für alles geben.
Man kann sich aber auch fragen, warum das so ist und welchen Anteil man selbst an dieser Entwicklung hat.