Gestern las ich so im Vorübergehen einen Artikel auf Spiegel online über alte/neue Vorwürfe gegen Ex-SPDler und Neu-Pirat Jörg Tauss.
Es sei weit mehr belastendes Material gefunden als bisher bekannt. In üblicher Spiegel-Manier wurde das Thema reißerisch-boulevardistisch aufgemotzt. Vorbildlich z.B. dieser Absatz:
„Der Bericht offenbart zahlreiche Widersprüche zu den bisherigen Erklärungsversuchen des Parlamentariers. Tauss hatte stets versichert, das einschlägige Material aus rein dienstlichem Interesse erworben zu haben. Die Fahnder halten das für eine Schutzbehauptung.“
Weiter unten im Artikel wird dann erklärt, die Ermittler hätten keine Belege gefunden, die Tauss Erklärung widerlegt hätten. Nur wird dieser Sachverhalt so umformuliert, dass daraus folgendes wird:
„Die Ermittler fanden allerdings keinerlei Belege dafür, dass die einschlägigen Dateien im Besitz des Medienexperten aus Hintergrundrecherchen für seine Abgeordnetentätigkeit stammen. Die Fahnder bezweifeln, dass Tauss seine angeblichen Rechercheergebnisse je publizieren wollte.“
Hätte ich in meinem Jurastudium so argumentiert und Vermutungen als Beweis hingestellt, wäre ich wahrscheinlich schon durch die erste Klausur geflogen. Und ich frage mich mittlerweile, wie lange es noch dauert, bis Spon in Bildmanier aus Tauss ein „Dreckschwein“ macht.
Aber, bis dahin alles normal. Wir befinden uns im Wahlkampf, die Piratenpartei ist etablierten Parteien ein Dorn im Auge und der Spiegel lässt sich ja mittlerweile vor jeden dreckigen Karren spannen. Gedanklich habe ich den Artikel unter „belanglos“ abgelegt, wie das meiste Online-Gewäsch des ehemaligen Nachrichenmagazins.
Soeben, bei meinem morgendlichen Kaffee, stöbere ich in meinem Feedreader und stoße auf einen Artikel bei heise online.
Tauss soll Hunderte kinderpornographische Bilder und Dutzende Videos besessen haben
Ich wusste ja schon, worum es ging, überflog aber dennoch den Artikel. Atemlos wird dort der Spon-Post nacherzählt. Nur um dann ganz unten Luft zu holen, tief auszuatmen und die Stellungnahme des Anwalts zu zitieren, die den aufgebauschten Vorwurf deutlich abmildert.
Beim Lesen musste ich an ein schreckhaftes Hühnchen denken: Oh mein Gott, am Ende sind die Vorwürfe berechtigt und dann stehen wir doof da, weil wir doch bisher eher wohlwollend denn objektiv waren…
Ja, vielleicht eweisen sich die Vorwürfe als richtig. Vielleicht aber auch nicht. Für Herrn Tauss spricht sein Einsatz gegen das Gesetz für Internetsperren kinderpornographischer Seiten (denn da stand der Vorwurf ja schon im Raum) und der Eintritt in die Piratenpartei, die sich für die Löschung kinderpornographischer Seiten einsetzen.
Gegen ihn spricht das gefundene Material und die etwas selbstherrliche Begründung (er wolle sich durch die Sprengung eines Kipo-Ringes ins Gespräch bringen).
Er muss einem nicht sympathisch sein, der Herr Tauss. Doch bis zu einer Verurteilung (und bis jetzt ist er noch nicht einmal angeklagt!) gilt er, wie sich das für einen Rechtsstaat gehört, als unschuldig. Vorverurteilungen (und Sippenhaft), geschürt durch die Medien, sind mit das Widerlichste, was es an Krebsgeschwüren in einem Rechtsstaat gibt!
Wobei ich mich, wenn ich manche Kommentare bei heise online zu besagtem Artikel lese, schön langsam frage, ob es eigentlich noch Sinn macht, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen. So viele Bundesbürger scheinen nicht wertzuschätzen, was da eigentlich Großartiges am 23.5.1949 in Kraft trat.
Und wenn man dann noch Sätze wie „in der DDR ging’s uns doch eigentlich gut“ oder „ich geh nicht wählen, bringt ja doch nichts“ hört, kommt man schon arg ins Grübeln.