Verlorene Generation II


Ich frage mich, seit wann es eigentlich schick ist, dumm zu sein. Wer ist dafür verantwortlich, dass Menschen bejubelt werden, deren intellektuelle Leistung darin gipfelt, dass sie den aufrechten Gang beherrschen und ihre Grundbedürfnisse artikulieren können? Wer macht diejenigen zu Ikonen, deren Bildungsgrad so gerade eben über die Bordsteinkante reicht?

Wie kann es sein, dass man jemanden dafür bewundert, dass er noch nie ein Buch gelesen hat? Wie kann es sein, dass man geistigen Hohlkörpern zunickt, die keinen Sinn für Kunst und Kultur haben? Wieso bewundert man Menschen, die zwar kommerziell erfolgreich sind, aber nur Müll produzieren und keine bleibenden Werte hinterlassen können?

Manchmal glaube ich, begonnen hat alles mit Zlatko, an dessen Talentfreiheit man sich zu Beginn des Jahrtausends ergötzt hat. Doch eigentlich war dieses Emporheben eines stolzen Nichtskönners nur die öffentliche Aufarbeitung eines seit langem bestehenden Tenors.

Schuld sind wir. Schuld ist meine Generation. Wir Kohlkinder sind aufgewachsen mit dem Bewußtsein, wir seien die Größten. Wir könnten alles erreichen, wenn wir nur die finanziellen Mittel zur Verfügung hätten. Materialismus ist unser einziger Wert. Konsumgier und Leistung sind unsere Götzen, denen wir nur zu gerne Dienst erweisen. In der Schulzeit fanden wir es großartig, am Börsenspiel teilzunehmen, wir kamen mit Aktenköfferchen und Schlips und profilierten uns in den Fächern, die am gewinnbringendsten erschienen. Effizienz und Leistung waren wichtiger als Verantwortung und Tugend.

Mit 20 peilten wir die erste Million an, forderten sie wie selbstverständlich ein. Wir studierten BWL und Jura, doch nicht aus interesse, sondern nur im Hinblick auf den Status und die finanziellen Möglichkeiten. Wir wollten nicht Feuerwehrmann, Tierärztin oder gar Astronaut werden. Wir träumten von einer Banklehre oder einer Zukunft als Versicherungsmakler. Nie zuvor und nie danach waren Hippie oder Öko so schlimme Schimpfworte wie zu meiner Schulzeit. Heute belächeln wir die Weltverbesserer und betiteln sie mit Gutmensch, als sei es etwas verwerfliches, ein guter Mensch zu sein.

Versager haben in unserer verqueren Werteordnung nichts zu suchen. Armut ist für uns sehr wohl eine Schande. Wir halten Hartz-IV und Arbeitslosigkeit, solange wir nicht davon betroffen sind, für eine Krankheit der Faulen. Denn unsere Wirtschaftsgötter sind gut und speisen die, die ihnen wohlgefällig untertan sind.

Wohlfahrt, Mitleid, Solidarität sind Schimpfworte in unserem Vokabular. Wir sehen nicht ein, weshalb Hilfsbedürftige unterstützt werden sollten. Wir sehen nicht ein, weshalb Bildung im Sinne von Schule und Studium kostenlose Geschenke sein sollen, noch dazu wenn sie so nutzloses wie Literaturwissenschaftler oder Theologen hervorbringt.

Ein bißchen böse zu sein, das fanden wir erstrebenswert. Tricksen und betrügen oder gar den Klageweg beschreiten, das waren unsere Mittel auf dem Weg zum Erfolg. Die Finanzkrise, das waren wir. Denn wir sind die Gierigen.

Liebe ist für uns ein Geschäft, das niemals auf Dauer ausgelegt ist. Wir scheuen die Bindung, denn sie brächte Verantwortung mit sich und Verantwortung ist das einzig Böse in unserem Weltbild. Wenn wir Kinder bekommen, dann spät und auch  nur, weil es eben dazugehört. Wir lassen sie vor der Glotze geistig verwahrlosen, wir schreiben Bücher für sie, die eine düstere und traurige Welt beschwören. Wir wundern uns nicht darüber, dass ihre Idole seelenlose Blutsauger oder zusammengeflickte Kreaturen sind, deren einzige Bestimmung es ist, die Kopulationslust zu steigern. Selbst Frankenstein hätte sich nicht an solche Experimente gewagt.

Wir denken wieder in Stereotypen. Unsere Mädchen sind hirnlose rosa Prinzessinnen, deren Lebensziel neben gutem Aussehen die Maximierung ihrer Schuhpaare sein soll, während wir aus den Jungs wilde Kerle machen, dann aber nicht mit ihrer Wildheit umzugehen wissen. Wir wundern uns darüber, dass unsere Kinder saufen, sich und andere zu Tode prügeln oder Amok laufen.

Wir überhäufen sie mit Dingen. Denn Dinge sind gut. Sie bringen Status und Bedeutsamkeit in ein Leben voller Leere und Selbstzweifel. Wir selbst waren die erste Generation, die zum Abitur, zum bestandenen Führerschein wie selbstverständlich ein Auto zur Benutzung vorfanden. Und unserers hatte keine Schiebetür und war sicherlich nicht bunt bemalt.

Unsere Rebellion war der Konformismus, der Materialismus, den wir uns als Individualismus schön redeten. Und nie zuvor waren wir so weit entfernt davon. Schon in der Schule trugen wir Uniformen. Doch unsere hatten Markenlabel.

Wir wollten die Welt nicht verändern und haben es doch so nachhaltig getan. Wir wollten die Welt nicht verbessern. Das ist uns allerdings sehr gut gelungen.

Die Tempel der (Un-)Lust


Weihnachtsgeschenke zu besorgen wird einem in diesen Tagen ja besonders schwer gemacht. Die Geschäfte glitzern und glänzen, sind geschmückt mit allerlei Firlefanz und bedudeln uns mit Weihnachtsmusik. All das soll Lust machen und bewirkt doch nur das Gegenteil – jedenfalls bei mir.

Generell bin ich kein Shopping-Fan. Ich meide die großen Einkaufszentren so gut es geht. In diesen Konsumtempeln mit Hallen so groß wie Khazad-dûm, mit Rolltreppenlabyrinthen und künstlichen Niagarafällen, fühle ich mich klein und deplaziert. Wie ein Schmutzfleck.

Aber ich bin wohl die Ausnahme. Einkaufszentren boomen – im Gegensatz zu den Warenhäusern, deren Konzept völlig ausgedient hat. Schreibt jedenfalls die FAZ.
Ich mochte die Warenhäuser, als sie noch Warenhäuser waren. Bergab ging es mMn Mitte der 90er Jahre, als das Konzept „Warenhaus“ verändert wurde. Aus dem schlichten Kaufhof wurde z.B. die Galeria Kaufhof. Alles gleißte plötzlich in Lampenflut, sollte edel wirken und das Image des banalen Warenhauses aufpimpen.

Und plötzlich passten auch Waren nicht mehr ins Konzept. Und viele Artikel wurden preislich der Optik des neuen Tempel angepasst.

Für mich starb die Lust am Warenhaus als Kaufhof und Horten die Stoffabteilung aus dem Programm warfen. Nicht etwa wegen mangelndem Umsatz – nein, zu bieder, zu altmodisch. Kunden, die Meterwaren kauften, die wollte man nicht mehr haben.

Vermutlich sahen die Verantwortlichen ein alltes Muttchen vor sich, zu arm oder zu geizig, die vorgefertigte Stangenware Marke Lady Astor zu erwerben.

Ich nähe gern und ich tat das auch schon mit 20. Daß ich plötzlich kein gern gesehener Gast im Kaufhaus meiner Wahl mehr war, fand ich beleidigend. Warum soll ich in einem Geschäft einkaufen, das mich gar nicht als Kundin haben möchte?

Aber ich denke, ich bin auch hier die Ausnahme. Die meisten Menschen wünschen sich das optische Blendwerk. Es füllt ihr minderwertiges und nichtssagendes Leben mit ein bißchen Glanz.

Mich stößt es nur ab. Ich sehe ieber ein Bauernhaus als ein Schloß. Romanische Kirchen finde ich ungleich schöner als die goldglänzenden, puttenbestückten barocken Kirchen und ich würde auch lieber in einer heimeligen Pension nächtigen als im teuersten (und btw. hässlichsten) Hotel der Welt.

Der Firlefanz lenkt nur vom Wesentlichen ab. Das ist bei Dingen so und auch bei Menschen. Aber wer will sich die Mühe machen, das in einer konsumorientierten Welt, in der alles zur Ware degradiert wird, zu hinterfragen?