Alles. Bloß kein Sex.


Ich bin krank und mir ist langweilig. Ich war einmal sehr lange krank und mir war sehr lange langweilig. Damals lag ich lethargisch im Bett und habe von morgens bis abends nur ferngesehen. Man darf mich seitdem als Spezialistin bzgl. billiger amerikanischer B-Comedy-Serien betrachten. (Und allem sonstigen, was es im Ferrnsehen so gab und gibt.)

Mag sein, daß diese schreckliche Zeit und Phase meines Lebens meine Birne weichegkocht und meine TV-Schmerzgrenze auf Erdwespenniveau gesenkt hat. In jedem Fall kann ich mit dem grandiosen Wissen glänzen, das bspw. eine anzügliche Szene aus der Serie „Die Nanny“ herausgeschnitten wurde, in der eine schönheitsoperierte Cher (eignewickelt in Mullbinden, also nicht die echte) an Fran Fines Fingern nuckelt und diese das entsprechend kommentiert. Ich weiß, dass  in dem Film „Ein Klassemädchen“ die gehbeinderte Hauptdarstellerin in der Ursprungsfassung den Rossignol-Chef trifft, bevor die Skimarke in eine andere umbenannt wurde. Usw.

Wissen also, das keiner braucht und das niemanden interessiert.

Man hofft übrigens beim Berieselnlassen von Alle unter einem Dach bis hin zu Eine himmlische Familie, das es sich um Realsatire handelt und nicht etwa um moralinsaure, mahnende Lebenslektionen, eingehüllt in pseudowitzige Episoden, schlimmstenfalls von streckenweise total unpassendem Konservenlachen beschallt. Mein Paradebeispiel dazu war bisher die Apfel-Birnen-Szene aus Bill-Cosby. Für Nichtserienjunkies: Apfel und Birne symbolisieren jungfräuliche Körper. Gerade über das Thema Sex in amerikanischen Comedy- oder Familienserien könnte man eine wunderbare wissenschaftliche Arbeit schreiben.

Was ich mir aber eben diesbezüglich angetan habe, lässt sich nur durch mindestens zehn Abende im Programmkino mit Vorführung unbekannter usbekischer Filmkunst neutralisieren. Alternativ durch eine Flasche warmen Wodka. Aber der verträgt sich so schlecht mit den Medikamenten.

Natürlich ging es um Sex. Außer in Pornos geht es überhaupt nie so oft um Sex wie in amerikanischen Serien. Nur der Blickwinkel ist real und übertragen etwas anders als in klassischen Fickfilmen.

Und hier die Story: Die 17-jährige jungfräuliche Tochter möchte mit ihrem hyperbibeltreuen Freund zum ersten Mal Sex haben. Aus dem Zuschauer unerfindlichen Gründen teilen sie das gemeinsam den Eltern der Tochter mit, die daraufhin komplett den Verstand verlieren. Sie schlagen verbal und körperlich auf das Teenagerpaar ein, erzählen dem Jungen, er würde beim ersten Fick explodieren, dem Mädchen, was für schreckliche Geschlechtskrankheiten es gibt, schrecken auch vor Drogen und Freiheitsentzug nicht zurück. Untermalt immer und immer wieder von mantrischen Lachsalven, damit man nicht etwa auf die Idee kommt, man sähe gerade ein Psychodrama.

Als Zuschauer kann man aber nicht wegschalten. Das ist der Warze-im-Gesicht-Effekt. Und dann wartet man. Man wartet auf die Rebellion, das Ausrasten der Tochter, die ihren Eltern den Kopf wäscht, das Bild und die Welt wieder gerade rückt. Man wartet auf die Darstellung von Enttäuschung und Verletztheit begründet auf den Vertrauensbruch und das kindische Verhalten der Eltern. Natürlich wartet man vergeblich. Nichts ist in amerikanischen Serien so heilig wie die Jungfräulichkeit. Selbstverständlich nur die der Mädchen. Dem Sohn in der Serie hat der Vater noch ein paar Folgen früher Kondome in die Hand gedrückt und ihm viel Spaß gewünscht.

Ich jedenfalls streiche das Bill-Cosby-Apfel-und-Birnen-Gespräch von Platz 1. Es geht immer noch schlimmer. Mal sehen, was in den Programmkinos so läuft.