Zum Haare raufen


H+M wirbt zur Zeit – großangelegt und omnipräsent – mit einem bärtigen männlichen Model, zum Teil gewandet in Strickpulli und Wollschal. (1) Sofort kommen einem diskriminierende Gedanken in den Sinn. Etwa Waldschrat, Ökoheini, langhaariger Bombenleger, Wollzausel, Catweazle und ähnliches. Man muss es sich ganz klar eingestehen: Es ist der Bart, der den Mann für das persönliche Empfinden ästhetisch entstellt und Vorurteile erweckt. Bärte sind schließlich out und nur wenige kämpfen in verzweifelter Singularität für den Erhalt der Kinnbehaarung.

Haare sind etwas ganz und gar unanständiges geworden.  Angefangen hat es mit Achselbausch und Wadenflaum, es folgte die männliche Brustwolle und irgendwann in den 90er Jahren fielen die Schamhaare der Rasur zum Opfer.  Es scheint so, als wollten wir die Evolution mit Gewalt vorantreiben. Schließlich brauchen wir das Körpergestrüpp ja gar nicht mehr. Also weg damit.

Wie weit die Abneigung gegen die eigene Behaarung fortgeschritten ist, zeigt die gleichgeschlechtliche Diskriminierung. Frauen lästern über behaarte Frauen, beschimpfen sie als ungepflegt, um sich selbst einen sexuellen Vorteil zu verschaffen (eigentlich ja der Hauptgedanke bei gleichgeschlechtlichen Lästereien, neben der Kompensierung des eigenen Minderwertigkeitsgefühls). Mittlerweile ist die Haarintoleranz so weit fortgeschritten, dass man sich vor den eigenen sprießenden Härchen ekelt und die Müttergeneration belächelt, die die Damenrasierer auf dem Scheiterhaufen der sexuellen Diskriminierung zusammen mit ihren Büstenhaltern verbrannte.

Und üppte bei der Garde der männlichen Schauspieler bis in die 80er-Jahre noch die Brustbehaarung, rennen sie heute scharenweise zur Wachsfolter oder zum Laserbeschuss. Bärte haben nur alte Männer wie Sean Connery oder überdrehte Figuren wie Captain Jack.
Magnum, Gallionsfigur aller Bartträger,  finden  in Wahrheit auch nur Kerle attraktiv. Keine mir bekannte Frau im Alter von 14 bis 40 kann dem potenzgestreiften Gesicht Tom Sellecks etwas abgewinnen.

Und so stehen die Männer, die man heutzutage Jungs nennt, frisch epiliert mit ihren eitlen Bubigesichtern vor dem H+M Plakat und bewerten mit gewisser Schadenfreude das bärtige Modell. Der moderne metrosexuelle Mann kann der Stutenbissgkeit durchaus etwas abgewinnen und sie für sich übernehmen. Man fühlt sich auch gleich viel attraktiver, wenn der Mann auf der Plakatwand so gar nicht dem Schönheitsideal entspricht. Und dass Werbung dieser Art erfolgreich ist, zeigen die Dove-Kampagnen.

Selbstverständlich war das nicht die Intention der Werbeagentur. Vermutlich ist die Aktion ein verzweifelter (und zu 100% erfolgloser) Versuch, dem Bart wieder sexuelle Attraktivität zu verleihen. (Siehe Johnny Depp, Joaquin Phoenix, Brad Pitt u.viele, viele a.)

Haare, besonders Körperhaare sind ein Zeichen dafür, dass der Mensch erwachsen ist. Erwachsen ist aber gleichbedeutend mit dem Übernehmen von Verantwortung. Und das Übernehmen von Verantwortung ist gleichbedeutend mit alt. Und alt ist definitiv sexuell unattraktiv. Und darauf läuft von der Berufswahl über den Autokauf und die Kleiderwahl alles hinaus.

In unseren Köpfen sind wir alle zu Kinderfickern geworden, die rasierte Mösen und eine epilierte Brust brauchen, um ihre Illusion von Jugendlichkeit nicht zu zerstören. Und diese Entwicklung geht wenig überraschend Hand in Hand mit dem steten Entzug aus der Verantwortung. Bleibt zu hoffen, dass das nicht wieder ein Bartträger zu seinen Gunsten zu nutzen weiß.

(1) Ich würde gerne auf die aktuelle H+M-Werbung verlinken. Leider ist die Website von Hennes und Mauritz so grottenschlecht, dass mir das nicht möglich ist. Bei Interesse muss man sich also durch die neue Herbst-Kollektion klicken, um den Mann mit Bart zu finden. Wer sich das antun möchte, kann es hier tun: http://www.hm.com/de/fashion/herbstmode__ff09.nhtml#/ff09/

Maos Anzug im Kopf


Als Teenager, in der Schule, da ist es ja so wichtig, welcher Gruppierung man sich anschließt, welche Klamotten man trägt, wen man gut oder schlecht findet und zu welcher Clique man gehört.

Zu meiner Zeit und auf der elitären Schule, die ich besuchte (übrigens Geld-, nicht zwangsläufig Geisteselite), da trug man selbstverständlich Edellabels, ließ sich die Haare vom teuersten Friseur der Stadt ondulieren und betrachtete es als Rebellion und cooles Understatement, ein H+M T-Shirt unter dem teuren Hosenanzug zu tragen. H+M war damals der Kaufhof der Armen und Geschmacklosen. Letzteres ist er ja immer noch. Wer stilunsicher ist, der rennt zu IKEA und H+M, lässt sich alles vorkauen, um ja nicht den Hauch von Individualität entwickeln und eigenen, auch schlechten Geschmack haben zu müssen.

Die Sache ist doch die. Propagiert wird überall die Individualität. Man möchte sich abheben, besser fühlen und besser aussehen als der sogenannte Mainstream. In Wahrheit rennen die meisten aber doch in Maos Anzügen rum. Und viele haben die auch über’s Hirn gestülpt. Wer nicht zur Gruppe passt, wird ausgegrenzt.  Du bist Emo? Geh weg, Emo ist scheiße. Du trägst die Hose ÜBER dem Arsch? OMG, was bist du denn für einer?

Rudelbildung, wo man hinsieht. Kürzlich habe ich einem 12-jährigem Mädchen erzählt, das ändere sich mit dem Alter. Der Druck, einer Gruppe anzugehören, verschwindet mit der Zeit und ebenso die Anerkennung oder Häme. Als ich tags darauf zur Arbeit ging und all die Schlipsträger, die Carry-Bradshaw-Verschnitte mit ihrem InTouch-Outfit und die Bewußt-Geeks sah, da wurde mir klar: Ich habe gelogen.

Hat sich was mit der Altersweisheit…