Eleos und Phobos


Warum bewerben sich eigentlich so viele junge Menschen bei Castingformaten wie DSDS? Ausnahmslos jeder dieser Bewerber kennt die Schmähungen und Ehrverletzungen der letzten Staffeln. Vorallem aber wissen die Kandidaten auch, dass mit dem Gewinn weder Erfolg noch Ruhm winken.

Oder sind die Namen Mark Medlock, Thomas Godoj und Daniel Schumacher noch irgendwem geläufig?

Selbstverständlich ist es in gewissen Bildungskreisen inakzeptabel, sich eine Sendung wie Deutschland sucht den Superstar anzusehen. Wenn doch, dann verheimlicht man das wie das allnächtliche Softporno gucken auf RTL II. Lieber echauffiert man sich – nicht nur über das Format, sondern auch über das Publikum, das sich zu den jeweiligen Sendezeiten willig einfindet.
Dabei gibt es kaum ein intellektuelleres Vergnügen als DSDS, Germany’s next Topmodel, Supertalent usw. Man braucht zum Verständnis allerdings eine gewisse Abgehobenheit und emotionale Ferne, Forscherdrang, einen geschulten Blick und wenigstens bei Deutschland sucht den Superstar sollte man auch minimales Musikverständnis mitbringen. Muss nicht sein, erhöht aber den Amüsiergrad.

Man kann natürlich auch die Augen verschließen und diese Sendungen ignorieren wie die „Ey Mudda“-Pöbler, die sich in der S-Bahn in Neandertalergestammel versuchen zu unterhalten. Damit weicht man nur der tagtäglichen Realität aus. Sie verschwinden nicht, bloß weil man nicht hinschaut.

DSDS sollte auch Pflichtprogramm für jeden Sozio- und Psychologen werden. Der Fokus liegt dabei nicht auf den Kandidaten, sondern auf den Machern und der Jury. Das grausame Ausnutzen menschlicher Selbstüberschätzung, die Leistungsforderung um jeden Preis, dass Fäkalniveau der Jury und die Mallorcasexualisierung sind ein reale Entwicklungen in der Gesellschaft und stehen für die Vorbilder der Jugend. Das mangelnde Bildungsniveau, eine fehlerhafte Selbsteinschätzung und die damit einhergehende fehlende Hemmschwelle, das traurige Lechzen nach Anerkennung, die Mentalität, alles für ein Weiterkommen einzusetzen (Selbstachtung, Körper), mithin also ein ausgeprägter Masochismus der Jugend sind der Gegenpol, das Gegengewicht, Folge und Ursache gleichermaßen.

Die Jugend trifft es tatsächlich am härtesten. Die meisten haben wir zu Effizienznutten gemacht, die nicht nur ihren Körper, sondern gleich die Seele mitverkaufen. Für ein klein wenig Anerkennung, die sie sich über Statussymbole zu erwerben hoffen. Nicht einmal der Bildungsabschluss hat noch eine Aussagekraft:

Ich hatte einmal einen Bewerber für BWL, Schwerpunkt Bank- und Versicherungslehre. Da er in seiner Bewerbung angegeben hatte, zum kommenden Semester beginnen zu wollen, führte ich das Gespräch auch in diesem Sinne, bis sich das Missverständnis klärte. Der Junge riss entsetzt die Augen auf und erklärte mir: Ich mache ja noch die Ausbildung, da kann ich erst im WS xy anfangen! Und, nach einer Pause: Aber wenn Sie wollen, beende ich sofort die Ausbildung.

Ich kam mir vor wie Detlef D! Soost, der seine armen Schützlinge mit Brüllmotivation zu Hochleistung treiben möchte „Ich will sehen, dass Du es WIRKLICH willst!“ (Sex mit dieser Person stelle ich mir übrigens sehr frustrierend vor.)
Der Vorschlag des Bewerbers hat in mir tatsächlich das Gegenteil bewirkt. Er hat eine Absage von mir erhalten und ich denke, das war eine gute Entscheidung. Wir brauchen ja nicht noch einen Banker, der einen Pakt mit dem Teufel schließen würde, wenn er sich davon Vorteile verspräche.

Ich glaube, es ist falsch, Castingsendungen zu verurteilen. Im Gegenteil. Ich fordere noch mehr Castingshows, noch mehr Vorführungen, noch mehr öffentliche Bloßstellung. Je mehr sich diese Formate selbst lächerlich machen, umso besser. Je mehr Menschen sich der Lächerlichkeit preisgeben, umso wirkungsvoller. Vielleicht wird dann endlich auch dem letzten Deutschen bewußt, wie wichtig es ist, in Bildung zu investieren, die nicht nur Wissen, sondern auch Werte und Selbstbewußtsein vermittelt.

PS: Eleos und Phobos sind die (alt-)griechischen Wörter für Elend und Furcht. Sie sind die notwendigen Vorstufen zur Katharsis, also zur Reinigung oder Läuterung. Alle diese Begrifflichkeiten und ihr Bedeutungszusammenhang entsammen der Poetik des Aristoteles und beschreiben einen Teil der klassischen Stufenentwicklung der Tragödie.

Die Legende von Paul und Paula


Ich bin genauso alt wie dieser Film und trotzdem hatte ich ihn noch nie gesehen. Gestern dann gab es die Möglichkeit dazu, ohne Werbeunterbrechung und auf einem Sender, den wir hier auch empfangen.

Ich wusste, dass dieser Film in der ehemaligen DDR und vermutlich immer noch in Ostdeutschland Kultstatus hatte bzw. hat, umso höher lag also meine Messlatte. Ich bin sehr, sehr anspruchsvoll bei Filmen, was aber nicht bedeutet, dass ich mir kein Mittelmaß, keinen Schund oder Trash ansehen kann. Kann ich. Sogar mit Genuss. Und manchmal möchte man auch einfach nur unterhalten werden.

Bei Die Legende von Paul und Paula fiel mir positiv auf:

  • Normale Dialoge. Bzw. mittlerweile filmisch sehr ungewöhnliche Dialoge. Ich merkte wieder einmal, wie sehr man auf dieses blödsinnige Standardgequatsche eingefahren ist.
  • Keine wehenden Flaggen. Dabei war die DDR in Sachen Zensur und Filmpatriotismus den USA durchaus ebenbürtig. Aber die Filmemacher schienen mutiger zu sein und die Filmkunst war nicht auf Kommerz ausgelegt. Trotzdem war „Die Legende von Paul und Paula“ ein Kassenerfolg.
  • Die Musik. Großartig.
  • Die gut verpackte Kritik und der Mut, sie zu zeigen. Bsp.: In einer surrealen Sequenz „heiraten“ Paul und Paula. Paula ist dabei nur von einem Schleier bedeckt. Am Rande der Szene stehen zwei Personen, die das Geschehen beobachten. Der eine sagt empört: „Das ist doch Porno!“ Der andere sagt darauf: „Dann gucken Sie halt weg!“ Das tut der erste, um dann aber doch wieder einen verstohlenen Blick über die Schulter zu werfen.
  • Kein moralischer Zeigefinger. Es gibt keine Bewertung der unehelichen Mutter Paula oder des ehebrechenden Pauls.
  • Das Spiel mit Klischeevorstellung und Gegensätzen: Paula, die aufgeschlossene, individualistische Ausbrecherin wohnt in einem alten, traditionellen Haus mit alten, traditionellen Möbeln. Paul, der konservative Spießer lebt direkt gegenüber in einer modernen Plattenbauwohnung mit modernen Möbeln.
  • Die Langsamkeit!!! Sich Zeit lassen mit einer Szene, wer kann sich das heute noch erlauben. Wenn nicht alle 20 Sekunden irgendetwas passiert, ist es doch vorbei mit der Aufmerksamkeit des clipgeschädigten Publikums.
  • Die Darsteller: Sie sehen alle normal aus und haben keine schönheitsoperierten Körper.
  • Das Ende: Unhappy!

Fazit: Kein Schund, kein Trash. Wirklich sehenswert.

Piraten sollten Danke sagen!


Ich finde, die Piratenpartei sollte sich bei ihren zahlreichen Wahlhelfern bedanken, die den Siegeszug der Partei in den letzten Monaten erst ermöglicht haben. Denn, sind wir doch mal ehrlich. Noch im letzten Jahr hat keine Sau ein Wort über die Piraten verloren. Erst durch die ehrenamtlichen, unermüdlichen Einsatzkräfte, die mit Herzblut und höchster Anstrengung diese junge Partei in das Bewußtsein der Öffentlichkeit getragen haben, gewann die Piratenpartei zunehmend Sympathie, Anhänger und – wichtig (!) Mitglieder.

An vorderster Front sei genannt der an Leidenschaft und Engagement kaum zu übertreffende Wolfgang Schäuble. Unermüdliche hat sich der rollende Blitz für den Mitgliederzuwachs der Piratenpartei eingesetzt. Als Beispiel seien hier der Arbeitskreis Stasi 2.0 genannt, der zusätzlich zahlreiche Merchandisingartikel vertreibt sowie satirische Aktionen und Gesetzesentwürfe und -realisierungen, die das Volk an die Bedeutung ihrer Freiheitsrechte und die demokratische Grundordnung gemahnen sollen: Bundeswehreinsatz im Inneren, Vorratsdatenspeicherung, Internierungslager für Gefährder, um nur einige zu nennen. Uns Wolle, der subtile Störer, der faustische Pudelskern, der Wolfgang im Schäublepelz, ist einer der Grundpfeiler der Piratenpartei und eifrigster Aktivist in Sachen Politikunverdrossenheit.

Danke, Wolfgang Schäuble.

Nicht minder respektabel ist das Engagement der tapferen Mutter der Nation, unserer verehrten Familienministerin Ursula von der Leyen. Mit kühler Überlegenheit und vorausschauender Berechnung hat sie die Frauen dieser Republik aufgerüttelt, besonders die wertvollen und sonst schwer erreichbaren Akademikerinnen (nicht das Jacqueline-gebärende-Kroppzeug). Gehet hinaus und vermehret euch, hat sie sich auf die Fahnen geschrieben. Doch mit wem vermehrt sich die Akademikerin von heute? Genau! Mit Akademikern und viele von diesen sind Nerds, besonders die angehenden und vorallem die, die sich mit diesem frauenfremden Technikkram auseinandersetzen. In vollem Bewußtsein trieb unsere Ulla die weibliche Bevölkerung in die Arme solcher Männer, wohlwissend, dass Nerds selten kopulieren, da sie ja meistens im Netz rumhängen und somit weniger ihr Genmaterial, dafür aber ihr perfides Gedankengut in die Akademikerinnen von heute pflanzen. Besonderer Dank geht an dieser Stelle aber an ihren gnadenlos genialen Gesetzesentwurf zur Verschleierung von Straftaten. In mühsamer Kleinarbeit und zahlreichen Überstunden wurde ein Plan ausgearbeitet, der – wenn auch durchschaubar – so doch mit der klaren Intention geschaffen wurde, die  Netzaktivisten auf die Verletzlichkeit des freien Internets aufmerksam zu machen.

Frau von der Leyen, ohne Ihre Mithilfe gäbe es sicher tausende Sympathisanten der Piratenpartei weniger! Vielen Dank dafür!

Auch viele Mitarbeiter der herkömmlichen Medien sind an dieser Stelle zu nennen. Redakteure etwa, die durch absichtlich provokanten Dilettantismus die burgerverzehrenden Blogger, die iPhone-abhängigen Twitterer, die pizzaverschlingenden WoW-Spieler, mithin also die geschlechtsdebilen Internetaktivisten zu  hitzigen Diskussionen angeregt haben, Fernsehmoderatoren, die im gespielten Witz mit wunderbar satirischer Geistesgegenwart die unbekannten Phänomene der Neuzeit einem Publikum nahebringen wollte, das sich sonst nur für Kompressionsstrümpfe und Treppenlifte interessiert,  Journalisten, die Blitzaktionen mit ironischer Weisheit kommentierten, um sie fest im Bewußtsein der Bevölkerung zu verankern. Ihre subtile Mitarbeit bestärkte die Zielgruppe der Piratenpartei im politischen Engagement.

All diesen unermüdlichen Wahlhelfern ist bewußt, das noch ein langer Weg vor ihnen liegt. Aber im Laientum vereint, von der wilden Zerstörungswut der Grundfesten der Republik vorangetrieben, mit eitlem Spöttertum und radikaler Angst ausgestattet, werden sie auch in den nächsten vier Jahren alles daran setzen, die junge Piratenpartei in ihrem Aufstieg zu unterstützen.

Also, liebe Piraten, sagt mal schön Danke! Gehört sich so!

Der Onlineshop der Katastrophen


Der Sommer locht zur Zeit ja gewaltig. Das merkt man an aufgebauschten Sommerlochmeldungen (Dienstwagen in Urlaub mitgenommen), Meldungen über das Sommerloch selbst (Wir stecken im Sommerloch), peinliche Selbstzerfleischungen bzgl. des Sommerlochs (Wir plaudern lustig Interna aus), Zeitungsenten (Nachtsichtgeräte ab jetzt zur Überwachung in Kinos) und ausführliche Berichte über das Wetter – inkl. Interviews und Promisenf (Blabliblub…).

Alles laangweilig!

Dabei geht es doch so einfach, das Sommerloch mit sensationslüsternden, dramatischen, ja schockierenden Bildern effektvoll zu stopfen! Wenn großartige Katastrophen ausbleiben, warum dann nicht einfach welche kaufen?

Was sich für das mediale Ohr wie ein dreifacher Doppelorgasmus anhört, ist genau das! Nämlich ein dreifacher Doppelorgasmus – mit Martinshorn und Leiche! Mindestens!

Natürlich fragt sich die geplagte TV-Redaktion, was sie für ihr Geld geboten bekommt. Man will ja nicht die Katze im Sack kaufen (wobei auch das sicher verwurstet werden könnte, also die Meldung, nicht die Katze). Und deshalb bietet der Online-Shop der Katastrophen auch detaillierte Artikelbeschreibungen. So weiß Katja Burkard schon im Voraus, wo sie betroffen gucken muss! Fantastisch!

Schauen wir doch mal, was gerade so im Angebot ist…

Mann rennt an Hamburger Bar vorbei und sticht Besucher ab – Lebensgefahr

Im Video zu sehen (u.a.):

  • Totale der Bar, Stuhl vor dem Gebäude
  • Opfer wird in Rettungswagen versorgt
  • Abfahrt Rettungswagen, Notarzt
  • Polizei bei Ermittlungen am Tatort, Beamte schauen in Mülleimer
  • Beamte besprechen sich
    (via Nonstopnews.de)

Gut macht sich auch ein dramatischer, tödlicher Unfall. Könnte man gleich mit einem immer aktuellen Thema kombinieren: dem jugendlichen Leichtsinn!

Im Video gibt es (u.a.):

  • Polizei und Bestatter vor Ort
  • Blick in aufgerissene Fahrgastzelle
  • Abgerissenes Vorderrad auf Fahrbahn
  • Person wird in Leichenwagen geschoben
  • Abfahrt Leichenwagen
  • Polizei sperrt Straße ab
    (via Nonstopnews.de)

Und demnächst im Sommerschlussverkauf:

Auto kollidiert mit Schwein, Fahrer und Schwein schwer verletzt!

(Rettungshubschrauber landet, Schwein wird vor Ort medizinisch versorgt, Sprecher der WHO warnt vor unbekannten Auswirkungen der Schweinegrippe, O-Ton Schweinebauer Karl-Heinz Övelmann: Plötzlich ist sie ausgebrochen, Totale von Metzgerei Bückele, leere Plastiktüte am Boden, Schweinequieken, Polizisten besprechen Einsatzplan, essen dabei Mettbrötchen)

Es gibt eben nichts, was es nicht gibt. Und alles davon hier.

Definition von Unmöglichkeit


Ich glaube, eine wirkliche Gleichwertigkeit von Mann und Frau haben wir genau dann erreicht, wenn sich das Volk stumpf und schenkelklopfend über Folgen der fünften Staffel einer amerikanischen Konservenlachen-Comedyserie amüsiert, in der eine hässliche, dumme, verfressene, ein bißchen eklige, fernsehsüchtige und übergewichtige Frau, die auch noch beim Vögeln nicht der Bringer ist, mit einem gut ausehenden, klugen Mann, der Wert auf sein Aussehen legt und sie wirklich liebt, verheiratet ist. Nennen wir die beiden einfachheitshalber Mag und Harry.

Das reicht aber noch nicht.

Eine ganze Reihe männlicher Zuschauer müsste beim Gucken ihre Freundinnen anstupfen, auf Mag deuten und begeistert quietschen: Hach, is die knuffig…