Gedanken zum Mauerfall


Im Sommer fuhr ich mit der Bahn zu einem Meeting nach Erfurt. Tatsächlich wurde mir auf dieser Fahrt bewußt, dass es noch nicht so lange her ist, da wäre so eine Fahrt eine Reise gewesen und zwar ins Ausland. Heute sieht man nicht mehr, dass man eine Grenze überschreitet, offensichtlich ohnehin nicht, aber auch versteckt kann man es anhand der Infrastruktur, der Gebäude oder Geschäfte nicht mehr erkennen. Geradezu exemplarisch stieg in Kassel ein kleiner Junge zu, mit dem wir ins Gespräch kamen. Der kleine Erfurter hatte Verwandschaft in Kassel besucht. Einfach so. Eben mal. Dass das ganz ohne Visum möglich ist – als ich so alt war wie er, undenkbar.

1989 war ich ein Teenager. Gerade eben mit meinem ersten richtigen Freund zusammen. Ich erinnere mich an den Geruchscocktail aus Clearasil und Fishermen’s, wenn ich ihn küsste und Persil, wenn ich an seiner Schulter lehnte. Ich erinnere mich an Genscher auf dem Balkon und tanzende Menschen auf der Berliner Mauer. Ich erinnere mich an die mitreißende Freude, aber auch an qualvolle Ängste, die mich damals plagten. In der Schule hatten wir gelernt, dass im Falle eines Ost-West-Konflikts Deutschland das Schlachtfeld sein wird. Auch diese Bilder hatte ich vor Augen.

Die ganze Tragweite des 9.11.89 wurde mir erst viel später richtig bewußt. Was daraus erwachsen ist und welche Auswirkungen dieser Tag auf das Leben so vieler Menschen hat.

Dass es Menschen gibt, die sich den alten Zustand wieder wünschen, ist mir völlig unverständlch. Ich weiß einfach nicht, was so viel besser an einer Zeit war, in der eine ständige und echte  Bedrohung in der Luft lag, in der Menschen wegen des Bemalens eines Plakats Jahre hinter Gitter saßen, in der man nicht einmal dem eigenen Ehepartner trauen konnte. Wie gedankenlos manche Freiheit gegen vermeintliche Absicherung oder vermeintlichen Wohlstand eintauschen möchten. Und wie sich manche genau das zunutzen machen, um Stück für Stück wieder Freiheit abzutragen.

Genau deshalb ist der 9. November ein so wichtiger Gedenktag. Nicht nur bezogen auf 1989, sondern auch auf 1918, 1923, 1938, 2001, 2007. Er gemahnt uns an geschichtliche Ereignisse, die unmittelbar etwas mit unserer Freiheit zu tun haben. Er zeigt uns, wie kostbar und gefährdet sie ist.

Jeder Tag ist es wert, sich über Freiheit Gedanken zu machen. Am 9. November aber ist es eine wirkliche deutsche Pflicht.

Die Legende von Paul und Paula


Ich bin genauso alt wie dieser Film und trotzdem hatte ich ihn noch nie gesehen. Gestern dann gab es die Möglichkeit dazu, ohne Werbeunterbrechung und auf einem Sender, den wir hier auch empfangen.

Ich wusste, dass dieser Film in der ehemaligen DDR und vermutlich immer noch in Ostdeutschland Kultstatus hatte bzw. hat, umso höher lag also meine Messlatte. Ich bin sehr, sehr anspruchsvoll bei Filmen, was aber nicht bedeutet, dass ich mir kein Mittelmaß, keinen Schund oder Trash ansehen kann. Kann ich. Sogar mit Genuss. Und manchmal möchte man auch einfach nur unterhalten werden.

Bei Die Legende von Paul und Paula fiel mir positiv auf:

  • Normale Dialoge. Bzw. mittlerweile filmisch sehr ungewöhnliche Dialoge. Ich merkte wieder einmal, wie sehr man auf dieses blödsinnige Standardgequatsche eingefahren ist.
  • Keine wehenden Flaggen. Dabei war die DDR in Sachen Zensur und Filmpatriotismus den USA durchaus ebenbürtig. Aber die Filmemacher schienen mutiger zu sein und die Filmkunst war nicht auf Kommerz ausgelegt. Trotzdem war „Die Legende von Paul und Paula“ ein Kassenerfolg.
  • Die Musik. Großartig.
  • Die gut verpackte Kritik und der Mut, sie zu zeigen. Bsp.: In einer surrealen Sequenz „heiraten“ Paul und Paula. Paula ist dabei nur von einem Schleier bedeckt. Am Rande der Szene stehen zwei Personen, die das Geschehen beobachten. Der eine sagt empört: „Das ist doch Porno!“ Der andere sagt darauf: „Dann gucken Sie halt weg!“ Das tut der erste, um dann aber doch wieder einen verstohlenen Blick über die Schulter zu werfen.
  • Kein moralischer Zeigefinger. Es gibt keine Bewertung der unehelichen Mutter Paula oder des ehebrechenden Pauls.
  • Das Spiel mit Klischeevorstellung und Gegensätzen: Paula, die aufgeschlossene, individualistische Ausbrecherin wohnt in einem alten, traditionellen Haus mit alten, traditionellen Möbeln. Paul, der konservative Spießer lebt direkt gegenüber in einer modernen Plattenbauwohnung mit modernen Möbeln.
  • Die Langsamkeit!!! Sich Zeit lassen mit einer Szene, wer kann sich das heute noch erlauben. Wenn nicht alle 20 Sekunden irgendetwas passiert, ist es doch vorbei mit der Aufmerksamkeit des clipgeschädigten Publikums.
  • Die Darsteller: Sie sehen alle normal aus und haben keine schönheitsoperierten Körper.
  • Das Ende: Unhappy!

Fazit: Kein Schund, kein Trash. Wirklich sehenswert.