Immer wieder hört und liest man, dass Jungen die Bildungsverlierer seien, denn es mangele ihnen an männlichen Vorbildern im Kindergarten und in der Schule. Diese Argumentation ist ein schönes Beispiel für das Verschieben der Verantwortung. Es stimmt sicherlich, dass es viel mehr weibliche Lehrkräfte gibt als männliche. Meinem Abiturjahrgang wurde vom (männlichen) Berufsberater ausnahmslos empfohlen, Grundschullehramt zu studieren. Selbstverständlich nur den weiblichen Vertreterinnen („Was wollen Sie denn Medizin studieren als Frau? Schließlich heiraten Sie und bekommen irgendwann Kinder.“).
Allerdings ist dieses Geschlechterverhältnis keine Entwicklung der letzten Jahre. Meine Eltern hatten nur weibliche Erzieherinnen und in der Volksschule, so nannte man das damals, gab es keinen einzigen Lehrer. Der Grund war natürlich der Männermangel nach dem Krieg. Damals bot man Frauen selbst ohne Ausbildung Stellungen als Lehrkräfte an, um diesen Mangel zu überbrücken. Ich kann nicht behaupten, dass die Generation meines Vaters besonders weich oder besonders aggressiv ist (beides Vorwürfe, die man neben schlechten Zensuren den Jungen heute macht).
Typischerweise studierte meine Mutter Grundschullehramt. Sie begann ihre Lehrtätigkeit in den 60er-Jahren in einem fast rein weiblichem Kollegium (und so blieb es bis zu ihrer Pensionierung). Das Reizzentrum hätte bei ihr die erste Klasse besuchen können. Und ich kann auch nicht behaupten, dass das Reizzentrum, als Verteter seiner Generation besonders weich oder besonders aggressiv ist. Genausowenig wie die Männer meiner Altersklasse. Vom Kindergarten bis zur vierten Klasse hatten ich und meine Mitschüler keinen einzigen männlichen Lehrer.
Auf niedriger Bildungsebene gab es in den letzten Jahrzehnten stets einen höheren Frauenanteil (das Verhältnis kehrt sich damals wie heute mit steigender Bildungsebene um). Er kann für die Bildungsmisere nicht verantwortlich sein, denn sonst hätten wir mit diesem Problem schon seit 40 Jahren zu kämpfen. Tatsächlich gibt es heutzutage sogar verhältnismäßig mehr Männer in Kindergärten und Grundschulen als das in den letzten 60 Jahren der Fall war. Noch zu meiner Kindergartenzeit war ein männlicher Kindergärtner ein absolutes Kuriosum. Heute ist das bei weitem nicht mehr ungewöhnlich.
Es ist leicht, die öffentlichen Bildungseinrichtungen für mangelhafte Erziehung verantwortlich zu machen. Das ist ein Trend der letzten Jahre. Bringt z.B. ein Kind schlechte Zensuren mit nach Hause, trägt der Leher und damit die Schule die Verantwortung. Keinesfalls kann es am Kind und der Erziehung der Eltern liegen. Doch da sitzt das Kernproblem. Viel mehr Kinder als je zuvor wachsen mit nur einem Elternteil auf. Es wird sich weniger um sie gekümmert, weniger von zu Hause aus in ihre Bildung investiert, z.B. indem man ein Kind ans Lesen heranführt, anstatt es mittels Fernsehen seelischer Verwahllosung und optischer Folter auszusetzen. Meist ist es die Mutter, der bei Scheidungen die Kinder zugesprochen werden oder bei der die Kinder dauerhaft wohnen. Wenn Väter sich nicht kümmern wollen oder dürfen, wo sollen dann die männlichen Identifikationsvorbilder und Reibungsgegner herkommen?
Es ist die moderne Familienentwicklung und die Mentalität der Verantwortungslosigkeit, die die Kinder büßen müssen. Und die öffentlichen Bildungseinrichtungen sollen diese Scharte auswetzen. Es wird ihnen nichts anderes übrigbleiben. Aber verantwortlich für diese Entwicklung sind sie sicher nicht.
Mein Schnuckiputzi, dass ich nicht besonders weich bin, mag stimmen. Wenn Du aber nochmal behauptest ich wäre nicht besonders aggressiv gibt es MÄCHTIG Ärger 🙂
Im Ernst: Zu meiner Schulzeit (kurz vor Niedergang des römischen Reichs, aber noch nach dem WKII) hatten wir in der Grundschule überwiegend weibliche Lehrer – später wurde das verhältnis aber ausgewogen. Ich persönlich hatte mehr mit männlichen als mit weiblichen Lehrern zu tun.
Ich denke, das ist exemplarisch. In höheren Klassen und Bildungseinrichtungen gibt es einen Männerüberschuss, das Verhältnis kehrt sich wieder um, dank Status und Verdientsmöglichkeit.
Allein an der Uni hatte ich zu 100% mit männlichen Dozenten zu tun. Im ganzen Fachbereich gab es nur eine Dozentin.
Ich habe ja heute täglich mit Schulen und Kindergärten zu tun und ich muss sagen: Mein persönlicher Eindruck ist, dass der Anteil von Kindergärtnern heute gegen Null tendiert. Früher gab es Ansätze, auch Männer in diesem Bereich zu etablieren, aber das ist scheinbar gescheitert.
Das hat direkt damit zu tun, dass Männer auch in dieser Branche andere Stellen bekommen, die deutlich besser bezahlt sind. Das ist traurig. Aber leider definitiv wahr. Es ist auch so – und Ähnliches kann man auch für Grundschulen anwenden – dass Männer es in diesen Stellen oft ausgesprochen schwer haben. Ich habe mal an einer Grundschule als einziger Mann gearbeitet und ich kann das definitiv bestätigen. Kein Smiley dahinter – es war gar nicht lustig.
Vermutlich so ähnlich wie Frauen in Berufen, die als Männerdomäne gelten. Ausgleichende Gerechtigkeit?
Ansonsten muss ich sagen: So ist es. Ich als Sozialarbeiter in der Jugendhilfe bin vielerorts die einzige (einigermaßen) positive Bezugsperson für Jugendliche in deren Leben. Mit 10 oder 11. Oft auch später.
Klar ist es so, dass es an weiterführenden Schulen wieder mehr Männer gibt – aber dann ist es auch sehr spät. Zu spät? Würde ich nicht sagen. Nicht für alle.
@Denis
… vielerorts die einzige (einigermaßen) positive männliche Bezugsperson …
wolltest du schreiben, oder? 😉
Vielerorts die einzige (einigermaßen) positive Bezugsperson, doch. tut mir leid, das zu sagen – aber ich habe selten mit den Alleinerziehenden (beiderlei Geschlechts) zu tun, die keine Probleme haben.
Aber das mit den schlechten Rollenbildern für Jungs ist schon ganz klar so, ja.
das klingt tatsächlich eher unschön. in welcher stadt bist du denn bzw. ist es eher ein problem-gebiet nach öffentlichem maßstab oder eher normalo?
Ich habe keinen Kindergarten besucht, keine Vorschule, als Grundschüler habe ich von der ersten bis zweiten weibliche Klassenlehrerinnen gehabt und in der 3-4 einen männlichen, wobei man sagen muss, dass der Rest eher weiblich waren. Nun in der Zeit als Gymnasiast und Abiturrient an einem Hessischen Gymnasium kann ich bezeugen, dass knapp die Hälfte des Kollegiums männlich waren und die Klassenlehrer und Tutoren größteils auch. Vielleicht ist es an anderen Schulen anders? Mich persönlich haben weibliche Lehrer nie gestört, wobei zwei besonders -ähem- meine Entwicklung beeinflusst haben.
Zu der Erziehung meiner Mutter würde ich nur so viel sagen: Meine Noten haben sich ziemlich verbessert, nachdem sie nicht mehr auf meine Hausaufgaben und Arbeiten geachtet hat. Danach fing es auch mit meiner Faszination für Physik und Mathematik an. Vielleicht hängt ja alles an einem Faden, vielleicht bin ich anders oder vielleicht werfen sich die populären Meinungsmacher Exkremente an den Kopp. Das letztere klingt am besten, hat aber trotzdem nichts zu sagen.
Ich weiß nicht, ob mein oft den derbsten Unsinn erzählender Grundschullehrer mein Leben verändert hat oder nicht. Das Leben meiner ehemaligen Mitschüler, von denen ich etwa noch ein Drittel sehe, hat es auf keine guten Schulen gebracht, was wieder auch nichts zu sagen hat, aber wohl gut als Gegenargument für die leere These ist.